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Die Berge als Medizin: Ein Bericht über die Heilwirkung des Bergwanderns in alpinen Landschaften

Stress – Symptom einer modernen Leistungsgesellschaft

Wir leben zweifellos in einer hektischen Zeit. Die Liste unserer täglichen Pflichten ist lang und ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen ständig funktionieren. Der Übergang zwischen Forderung und Überforderung ist fließend und bleibt oft lange Zeit unbemerkt. Wir sind nicht immer in der Lage uns hinreichend mit unseren eigenen Bedürfnissen zu befassen, schließlich haben wir Termine im Nacken und Aufgaben zu erledigen. Die Erwartungen, die sowohl im privaten/familiären als auch im beruflichen Kontext an uns gestellt werden sind hoch.

Derartige Bedrohungen belasten sowohl unseren Körper als auch unsere Psyche. Irgendwann finden wir uns in einer Dauerstresssituation wieder. Wir strampeln uns ab im sprichwörtlichen Hamsterrad der gesellschaftlichen Anforderungen und sehnen uns nach einem Ausweg. Leider begegnen wir der Überforderung viel zu oft mit unwirksamen, ja zum Teil sogar destruktiven Methoden.

 

Wer tiefen Frust loswerden und Entspannung finden will, der sollte sich Unterstützung holen und effektive Bewältigungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen. Die Beschäftigung mit stressauslösenden Situationen, Stressverstärkern und den eigenen Ressourcen ist der erste Schritt zur Veränderung.

 

Der Weg zur psychischen Entlastung kann unter anderem über den Körper und über Bewegung in ansprechender Landschaft führen. Im Alpenraum gilt das Bergwandern deshalb als Stresskiller Nummer eins!

 

Die Höhe als Gelegenheit zum Perspektivenwechsel

Die alpine Bergwelt übt seit jeher große Faszination und starken Einfluss auf uns Menschen aus. Der Blick von oben auf die unberührte Naturlandschaft wirkt beruhigend und entspannend auf unsere gehetzten Gemüter.

 

Kein Wunder, dass es immer mehr Menschen in die Berge zieht! Viele haben entdeckt wie wohltuend es ist in die Höhe zu steigen und die Welt sowie ihre eigenen Probleme mal wieder aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

 

Schon ein altes Sprichwort aus China sagt: „Steigst du nicht auf Berge, siehst du nicht in die Ferne!“ Und es stimmt noch immer. Der Blick den wir von oben in die Ferne richten, rückt so manches in unserem Leben wieder ins rechte Licht. Plötzlich fällt es uns viel leichter das Wesentliche und das wirklich Wichtige zu erkennen. Vielleicht wird uns auch bewusst, dass wir uns häufig über nichtige Anlässe ärgern und Probleme, mit denen wir zu kämpfen haben, verlieren aus räumlicher Distanz betrachtet ihre Bedeutsamkeit.

 

An die Stelle der negativen Emotionen, die wir vielleicht beim Aufbruch noch empfunden haben, tritt häufig ein Gefühl der tiefen Zufriedenheit und Geborgenheit.

 

Auch wenn der Aufstieg anstrengend und beschwerlich war so haben wir am Ende doch das Gefühl ein Ziel erreicht zu haben und uns selber besser spüren zu können. Eine wichtige Rolle bei der Entstehung dieses Glückgefühls spielen der Abbau des Stresshormons Cortisol und die Ausschüttung der Botenstoffe Serotonin und Dopamin. Beides geschieht vermehrt durch körperliche Aktivität in der freien Natur.

 

 

Ein neues Gefühl für die Zeit

Beim Wandern in alpinem Gelände bekommt auch die Zeit eine ganz andere Qualität. Viele geraten in eine Art „Flow“, ein sehr angenehmer Zustand bei dem das Verhältnis von äußerer Anforderung und persönlicher Ressourcen perfekt ausgewogen ist. Man ist so vertieft in eine Tätigkeit, dass in diesem Moment nichts anderes eine Rolle spielt. Es ist das vollständige Aufgehen in dem was man gerade tut.

 

In den Bergen läuft uns die Zeit also nicht davon, wie oft im hektischen Alltag. Im Gegenteil, sie scheint sich häufig sogar zu „dehnen“. Ihre natürliche Qualität rückt uns so viel stärker ins Bewusstsein. Es fällt uns leichter ganz im Hier und Jetzt zu sein und unsere Umgebung intensiv wahrzunehmen.

 

Dieser Effekt kann durch das Erlernen von Achtsamkeitsübungen (z.B. achtsames Gehen und achtsames Wandern) noch um ein Vielfaches verstärkt werden. Durch die Anwendung solcher Techniken können wir unseren Blick schärfen für die Schönheit und die Vielfalt der Natur und ein ganz neues Bewusstsein entwickeln. Die dadurch erlangte Entspannung und Ausgeglichenheit führt dazu, dass wir auch im Alltag gelassener werden und besser mit stressigen Situationen fertig werden. Wir bauen psychische Widerstandskraft, die sogenannte Resilienz auf.

 

 

Positive Effekte wissenschaftlich belegt

Es ist schon lange allgemein bekannt, dass Bewegung in der Natur uns psychisch stärkt und den Stressabbau fördert. Viele aktive Alpinsportler bestätigen, dass Bergwandern gut für das Wohlbefinden ist und sich positiv auf Körper und Geist auswirkt. Diese Beobachtungen wurden jedoch lange Zeit kaum wissenschaftlich untersucht.

 

Im Jahr 2016 veröffentlichte der Österreichische Alpenverein (ÖAV) eine groß angelegte Studie zum Thema „Effekte des Bergsports auf die individuelle Lebensqualität und Gesundheit“. Beim Fachsymposium „Bergsport und Gesundheit“ am 25. November 2016 in Wien wurden die Ergebnisse vorgestellt.

 

Es konnte gezeigt werden, dass bereits eine einzige Wanderung von ca. drei Stunden eine deutlich positive Auswirkung auf die psychische Verfassung der Teilnehmer hatte. Diese berichteten von besserer Stimmung und mehr Gelassenheit. Dahingegen nahmen negative Emotionen wie Angst oder das Gefühl der Energielosigkeit ab.

 

Auch die positiven Auswirkungen der sportlichen Aktivität auf den Körper konnten durch das Absinken des Cortisol-Spiegels im Blut und die damit einhergehende signifikante Stressreduktion bestätigt werden.

 

Laut dem Mitverantwortlichen der Studie Martin Niedermeier M.Sc. vom Institut für Sportwissenschaft an der Universität Innsbruck, sind die Effekte nicht nur auf die körperliche Bewegung allein zurückzuführen sondern auch auf die Natur in der sie ausgeführt wurde. Er spricht in diesem Zusammenhang vom sogenannten „Umgebungseffekt“.

 

Bereits in früheren Untersuchungen, die die Auswirkungen von körperlicher Aktivität, allerdings ohne die Überwindung von Höhenunterschieden zum Gegenstand hatten, konnten positive Effekte nachgewiesen werden. Im Vergleich zum Wandern in der Ebene hatte das Bergwandern in alpiner Landschaft jedoch signifikant größere Effekte.

 

 

Fazit

Bergwandern bedeutet körperliche Anstrengung die uns psychisch entlastet. Man kann es als Gegenstück zur bewegungsarmen Alltagshektik sehen in der viele von uns feststecken. Und vielleicht ist diese Sportart gerade deshalb so wirksam. Für Menschen die an chronischem Stress leiden hat die Bewegung in den Bergen therapieähnliche Effekte, insbesondere wenn sie mit Strategien der Achtsamkeit verknüpft wird. In jedem Fall ist sie zudem eine effektive Form der Vorbeugung von diversen körperlichen und psychischen Beschwerden.